Die Location ist nicht das Wichtigste bei einem Konzert, aber sie trägt zum Erlebnis und zur Qualität eine ganze Menge bei. Die Betonhalle (ja, sie heißt wirklich so und das auch zu Recht) ist ein adäquater Ort für Neue Musik, bei der es besonders auf Klarheit des Klangs, Konzentration und Offenheit des Hörens ankommt. Sie ist Teil des „silent green“ in Berlin-Wedding, das ein Krematorium zu einem Ort der Kultur gemacht hat – womit nicht gesagt werden soll, dass das, was eigentlich in einem Krematorium passiert, nichts mit Kultur zu tun hat. Die Halle war für 300 bestuhlt – alle Plätze waren besetzt. Das Konzert war Teil des Festivals „Ultraschall“, das für vier Tage Neue Musik nach Berlin bringt.

Doch zur Musik: Abschluss und Ende des Programms bildeten zwei Stücke für eine größere Streicherbesetzung (einmal 16, einmal 18), interpretiert vom Ensemble Resonanz – beide im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends entstanden: „In margine“ von Francesca Verunelli und „Memory Jolts. Flashes of Pink in the Brain“ von Clara Iannotta. In beiden Stücken wird eine Tendenz deutlich, die in der Neuen Musik, also der klassischen Musik neueren Datums, sehr präsent ist: Die Instrumente werden sehr individuell geführt – Zusammenhang und Zusammenklang erschließen sich nicht unmittelbar. Doch die Klänge dringen, und das gilt für beide Stücke, direkt ins Gehör. Ich konnte das, so verrückt es sich lesen mag, unmittelbar in den Ohren spüren – und allein das war den Konzertbesuch wert. Davon abgesehen: „In margine“ und „Memory Jolts“ sind sehr unterschiedliche Stücke – im ersten geht es um immer wieder neue Einzelheiten, Töne, Klänge, die für sich stehen und on gewisser Weise durch den Raum mäandern, immer wieder unterbrochen, abgebrochen, und nicht wieder aufgenommen, immer wieder neue Möglichkeiten andeutend. In „Memory Jolts“ werden dagegen verschiedene Dimensionen von Tönen, oder genauer von Klangerlebnissen, verarbeitet und gegenübergestellt.
Sarah Saviet (Violine) und Joseph Houston (Klavier, E-bows) spielten drei Werke, von denen sie eines selbst gemeinsam komponiert haben. Doch zu „Unfoldings“ fand ich keinen Zugang, es erschien mir zu sehr auf den Effekt der E-bows, die ja aus einer ganz anderen musikalischen Welt stammen. am oder besser im Piano fokussiert – und diesen Effekt auch noch eindimensional zu verwenden. Doch vielleicht belehrt mich wiederholtes Hören eines Besseren. Ganz anders erging es mir mit Taste von Rebecca Saunders und Enno Poppe, zwei „Stars“ der Neuen Musik. Ihnen gelingt es, neben der Eigenständigkeit der Instrumente eine wirkliche Verbindung, eine Interaktion zu schaffen, die auch in einen gelegentlichen Zusammenklang mündet. Für mich war es deshalb überraschend, als ich, nach dem Hören, las, dass zwei voneinander unabhängig komponierte Werke die Grundlage der Komposition waren. Müsste ich wählen, war das der absolute Höhepunkt des Konzerts.
Zu „Dikhtas“, einem Werk Iannis Xenakis von 1979, das in einer sehr schönen Interpretation zu hören war, hier nicht mehr als ein ganz abschweifender Gedanke: Die Betonhalle wäre perfekt für eine Aufführung von „Persephassa“, einem auch im Jahr 1969 entstandenen Werk des Komponisten für sechs Perkussionisten, für das es nicht viele gute Aufführungsorte gibt – klassische Konzertsäle funktionieren jedenfalls nicht. Ich erinnere mich an eine Aufführung im großen Saal des Hygienemuseums in Dresden, die großartig war.
Etwas aus der Reihe und dem Konzept fiel schließlich das kurze Solostück „Maknongan“ von Giacinto Scelsi aus den 70er Jahren, an diesem Nachmittag auf dem Kontrabass gespielt (es ist komponiert für das jeweils tiefste/größte Instrument einer Instrumentengruppe, es kann also auch z.B. auf einer Tuba oder einem Basssaxophon gespielt werden). Benannt nach einem Gott, der bei einem indigenen Volk auf den Philippinen für Fortpflanzung und Manneskraft zuständig ist, ist die Musik, die man fast als lautmalerisch hören kann, ein kurzes, aber eingängiges Erlebnis.
Zum Schluss: Alle Werke, die gespielt wurden, waren ein Beleg dafür, wieviel sich mit offenen Ohren und offenem Gehirn mitnehmen lässt aus dem Hören Neuer Musik – entgegen vieler Vorurteile. Und sie zeigten, dass die Komponistinnen und Komponisten Suchende, Entdeckende und Schaffende sind, die tatsächlich immer wieder neue Möglichkeiten und Wege finden.
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