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  • Ultraschall in der Betonhalle

    Januar 24th, 2023

    Die Location ist nicht das Wichtigste bei einem Konzert, aber sie trägt zum Erlebnis und zur Qualität eine ganze Menge bei. Die Betonhalle (ja, sie heißt wirklich so und das auch zu Recht) ist ein adäquater Ort für Neue Musik, bei der es besonders auf Klarheit des Klangs, Konzentration und Offenheit des Hörens ankommt. Sie ist Teil des „silent green“ in Berlin-Wedding, das ein Krematorium zu einem Ort der Kultur gemacht hat – womit nicht gesagt werden soll, dass das, was eigentlich in einem Krematorium passiert, nichts mit Kultur zu tun hat. Die Halle war für 300 bestuhlt – alle Plätze waren besetzt. Das Konzert war Teil des Festivals „Ultraschall“, das für vier Tage Neue Musik nach Berlin bringt.

    Doch zur Musik: Abschluss und Ende des Programms bildeten zwei Stücke für eine größere Streicherbesetzung (einmal 16, einmal 18), interpretiert vom Ensemble Resonanz – beide im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends entstanden: „In margine“ von Francesca Verunelli und „Memory Jolts. Flashes of Pink in the Brain“ von Clara Iannotta. In beiden Stücken wird eine Tendenz deutlich, die in der Neuen Musik, also der klassischen Musik neueren Datums, sehr präsent ist: Die Instrumente werden sehr individuell geführt – Zusammenhang und Zusammenklang erschließen sich nicht unmittelbar. Doch die Klänge dringen, und das gilt für beide Stücke, direkt ins Gehör. Ich konnte das, so verrückt es sich lesen mag, unmittelbar in den Ohren spüren – und allein das war den Konzertbesuch wert. Davon abgesehen: „In margine“ und „Memory Jolts“ sind sehr unterschiedliche Stücke – im ersten geht es um immer wieder neue Einzelheiten, Töne, Klänge, die für sich stehen und on gewisser Weise durch den Raum mäandern, immer wieder unterbrochen, abgebrochen, und nicht wieder aufgenommen, immer wieder neue Möglichkeiten andeutend. In „Memory Jolts“ werden dagegen verschiedene Dimensionen von Tönen, oder genauer von Klangerlebnissen, verarbeitet und gegenübergestellt.

    Sarah Saviet (Violine) und Joseph Houston (Klavier, E-bows) spielten drei Werke, von denen sie eines selbst gemeinsam komponiert haben. Doch zu „Unfoldings“ fand ich keinen Zugang, es erschien mir zu sehr auf den Effekt der E-bows, die ja aus einer ganz anderen musikalischen Welt stammen. am oder besser im Piano fokussiert – und diesen Effekt auch noch eindimensional zu verwenden. Doch vielleicht belehrt mich wiederholtes Hören eines Besseren. Ganz anders erging es mir mit Taste von Rebecca Saunders und Enno Poppe, zwei „Stars“ der Neuen Musik. Ihnen gelingt es, neben der Eigenständigkeit der Instrumente eine wirkliche Verbindung, eine Interaktion zu schaffen, die auch in einen gelegentlichen Zusammenklang mündet. Für mich war es deshalb überraschend, als ich, nach dem Hören, las, dass zwei voneinander unabhängig komponierte Werke die Grundlage der Komposition waren. Müsste ich wählen, war das der absolute Höhepunkt des Konzerts.

    Zu „Dikhtas“, einem Werk Iannis Xenakis von 1979, das in einer sehr schönen Interpretation zu hören war, hier nicht mehr als ein ganz abschweifender Gedanke: Die Betonhalle wäre perfekt für eine Aufführung von „Persephassa“, einem auch im Jahr 1969 entstandenen Werk des Komponisten für sechs Perkussionisten, für das es nicht viele gute Aufführungsorte gibt – klassische Konzertsäle funktionieren jedenfalls nicht. Ich erinnere mich an eine Aufführung im großen Saal des Hygienemuseums in Dresden, die großartig war.

    Etwas aus der Reihe und dem Konzept fiel schließlich das kurze Solostück „Maknongan“ von Giacinto Scelsi aus den 70er Jahren, an diesem Nachmittag auf dem Kontrabass gespielt (es ist komponiert für das jeweils tiefste/größte Instrument einer Instrumentengruppe, es kann also auch z.B. auf einer Tuba oder einem Basssaxophon gespielt werden). Benannt nach einem Gott, der bei einem indigenen Volk auf den Philippinen für Fortpflanzung und Manneskraft zuständig ist, ist die Musik, die man fast als lautmalerisch hören kann, ein kurzes, aber eingängiges Erlebnis.

    Zum Schluss: Alle Werke, die gespielt wurden, waren ein Beleg dafür, wieviel sich mit offenen Ohren und offenem Gehirn mitnehmen lässt aus dem Hören Neuer Musik – entgegen vieler Vorurteile. Und sie zeigten, dass die Komponistinnen und Komponisten Suchende, Entdeckende und Schaffende sind, die tatsächlich immer wieder neue Möglichkeiten und Wege finden.

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  • Sibelius, Berg und Skrjabin im Konzerthaus

    Januar 21st, 2023

    Das Konzerthausorchester spielte drei Stücke, die sich für mich mit Vorurteilen verbinden, mit positiven bis begeisterten zu zwei der Stücke – Skrjabins „Poème de l’extase“ und Alban Bergs Violinkonzert – und mit einer Skepsis gegenüber dem Komponisten des dritten, Jean Sibelius, dessen 4. Sinfonie das Konzerts eröffnete.

    Eines der Vorurteile hat sich bestätigt – „Dem Andenken eines Engels“ bleibt eines der Werke, die mich am meisten faszinieren. Es ist übrigens in der Liste meiner liebsten Kompositionen das einzige Violinkonzert. Das zweisätzige Konzert, das letzte vollendete von Alban Berg, entstand im Zusammenhang mit der tiefen Trauer, die Berg im Jahr 1935 über den Tod eines ihm nahen Menschen empfand. Aber es ist viel mehr als ein Ausdruck der Trauer. Einerseits ist das Werk im ersten Satz stellenweise geradezu positiv und zuweilen verspielt, andererseits zeigt der zweite Satz, das Trauer und Abschied eben auch Schönheit, Transzendenz innewohnt. Die Musik, für die Lebenden geschrieben, ist Abschiednehmen, aber auch Eröffnung. Das alles geschieht in einem formalen Rahmen, der von der Moderne geprägt, in dem aber die Form immer dem Ausdruck, den Gefühlen dient und nicht umgekehrt.

    Die Solistin, Leila Josefowicz, glänzte, zurückhaltender kann ich das nicht formulieren. Gleichzeitig war ihre Interpretation für mich auch überraschend, einige Passagen im zweiten Satz waren so expressiv gespielt, wie ich das noch nicht gehört habe.

    Meine allgemeine Skepsis gegenüber Sibelius – begründet in seinem Romantizismus, seinen oft überbordenden Melodiebögen, seinen folkloristischen Elementen – hat sich bezüglich seiner 4. Sinfonie als falsch herausgestellt. Diese Musik ist alles andere als romantisierender Seelenkitsch, dessen ich Sibelius verdächtigt habe (und das tue ich bezüglich einiger Stücke weiterhin, Finlandia). Die 4. Sinfonie fesselt schon von Beginn an. Sibelius schrieb das Werk in den Jahren 1909-1911, in einer Phase, in der er sich mit den modernen Entwicklungen der Musik im beginnenden 20. Jahrhundert auseinandersetzte, und außerdem schwer krank war. Doch das Werk ist bei weitem nicht so „dunkel“, wie ihm oft zugeschrieben wird. Es ist eher ein Werk des Suchens, immer wieder neuer Anläufe, Auswege oder überhaupt Wege zu finden. Es ist damit faszinierend vielseitig und immer wieder überraschend. Es vertraut nicht mehr ganz auf konventionelle Schönheit, aber verucht auf vorsichtige Weise neue Wege zu gehen.

    An dieser Stelle etwas zum Dirigenten, den ich zum ersten Mal erlebte. Als Finne ist Hannu Lintu, der an der Sibelius-Akademie studiert hat, mit den Werken des Komponisten geradezu natürlich vertraut. Er hat einen etwas ungewöhnlichen Dirigierstil – der zwischen sehr ausladenden Bewegungen, die aufgrund seiner sehr hageren und hochaufgeschossenen Figur noch auffälliger sind – und fast totaler Zurückhaltung. Seine Interpretation, mit einem sehr präzisen und differenzierten Klang, soweit der Saal im Konzerthaus das zulässt, überzeugt, mit einem klitzekleinen Makel. Der eigentlich faszinierende Schluss der Sinfonie erschien mir etwas verschenkt. Genauer kann ich das nicht beschreiben, jeder der es verstehen will, kann sich eine Einspielung des Werks anhören. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass meine Konzentration nachgelassen hat.

    Und nun zu meinem zweiten positiven Vorurteil: Skrjabins Poem der Ekstase. Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Das ist einer der Favoriten meiner – kulturellen – Jugend. Der Overkill der Besetzung, die immer weitere Steigerung bis zur Explosion, die den Hörer umfängt und mitreißt, das rein Emotionale, die Kompromisslosigkeit gegenüber jedem Versuch, die Klänge in Strukturen einzubinden – all das faszinierte mich. Und bis zu einem gewissen Grad tut es das immer noch. Aber: Inzwischen bin ich skeptischer, vielleicht distanzierter geworden – und die Musik ist auch aufgebläht, oder genauer: sich immer weiter aufblähend, sie ist effekthascherisch und schlägt auf den Zuhörer ein, sie ist also ein zweifelhafter Genuss. Skrjabin wollte das Werk übrigens zunächst als orgiastisches Poem titulieren. Das ist natürlich nicht per se schlecht, ganz im Gegenteil. Vielleicht ist das, was mir beim Hören einfiel, auch einfach viel zu verkopft für dieses Stück. Eines jedoch noch zum Abschluss: Alles, was das Stück an Überschwang und undifferenziertem Schallgewitter enthält, wird durch die Akustik des Konzerthauses noch verstärkt. Das nächste Mal werde ich mir das Werk jedenfalls in der Philharmonie anhören.  

    In der Überschrift des Programmheftes werden die drei Stücke mit drei Schlagworten belegt: Dunkelheit, Trauer, Ekstase. Das ist nicht ganz falsch – aber wenigstens bei den ersten Wörtern nur eine ungenügende Simplifikation. Sibelius versucht in einer wahrgenommenen – vielleicht auch vorhergeahnten – Dunkelheit vorsichtige Wege ins Lichte zu finden, Alban Berg transzendiert die Trauer in Schönheit.

    Zum Abschluss noch eine Anekdote von der Heimfahrt: Der Uber-Fahrer, der mich hinter dem Konzerthaus aufnahm (es war sehr voll mit Konzertbesuchern, da der ganze Gendarmenmarkt gesperrt ist und nur zwei enge Wege nach hinten zur Verfügung stehen), fragte mich: Was war denn hier los? Disco für alte Leute? Er machte damit eine teilweise richtige Beobachtung: Ein großer Teil des Publikums war im Rentenalter – interessanter ist aber etwas, was mir seit einiger Zeit auffällt, bei Klassik und bei Jazz: Es gibt die Älteren, und es gibt relativ viele junge Konzertbesucher, im Studentenalter und drumherum. Was fehlt, sind die Generationen dazwischen….

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    21. Januar 2023

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